Dr. Jessica D.S. Knall war als Keynote-Speakerin zur Verabschiedung der Absolvierenden am 26. November 2021 der
Macromedia Hochschule Freiburg
zu Gast. Aktuelle Themen wie Impfgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Klimawandel und die Black Lives Matter Bewegung, aber besonders auch die Bedeutung der Kreativ- und Medienbranche für zukünftige gesellschaftliche Prozesse, waren Inhalt der Rede. Hier ist die Rezension zum Nachlesen veröffentlicht:
Liebe Absolvierende der Macromedia Hochschule,
sehr geehrte Damen und Herren,
gerade Anfang der Woche hörte ich in der Tagesschau den Bericht des Internationalen Instituts für Demokratie, nach dem während der Pandemie in den Demokratien der Welt die Menschrechte zurückgedrängt worden sind: Corona ist auf dem Vormarsch, die Durchseuchung unserer Gesellschaft nicht mehr zu verhindern, die Einführung der Impfpflicht wird in Deutschland nun doch Gegenstand der Diskussion. In solchen Zeiten werden die drängenden Probleme des Klimawandels wieder ganz in den Hintergrund der Medienberichterstattung gerückt, zu präsent sind jetzt die aktuellen existenziellen Bedrohungen auf den Intensivstationen. Gestern lagen nun die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen auf dem Tisch, prompt geht es in den Medien wieder um den Klimawandel und den sozialen Umbau unserer Gesellschaft.
Was für eine Zeit, in die Sie da hineingeboren worden sind!
Was für eine Zeit, in der Sie Ihr Studium abschließen und tätig in die Welt hinausgehen wollen!
Da wird sicher der oder die Eine von Ihnen entmutigt und/oder ratlos zurückgelassen werden. Wie soll man da noch kreativ sein können? Etwas aufbauen können? Sein Eigenes finden können? Bei dieser Flut an Problemen und Herausforderungen, wie soll man da noch im Medienmanagement die richtige Wahl im Tonfall der Kommunikation finden können, um aufzuklären ohne zu entmutigen, um zu informieren ohne zu überfordern?
Als Prof. Scherzinger und Prof. Ganal mich anfragten - denen ich an dieser Stelle dafür ganz herzlich danken möchte - ob ich Ihnen, liebe Absolvierende, mit einem Statement etwas zu Ihrem Abschluss mit auf den Weg geben könnte, freute ich mich sehr – und war im gleichen Moment mit Demut erfüllt, weil ich wusste:
Das ist kein 0815-Abschluss. Hier werden Studierende zu verabschieden sein, die jetzt schon unter extrem herausfordernden Bedingungen studieren mussten und nun in eine Welt hinausgehen, deren Themen uns alle schier zu erdrücken scheinen.
Und mir überantwortet man die große Aufgabe, in dieser Situation Hoffnung zu vermitteln.
Wir stecken inmitten einer hochkomplexen globalen Krise nicht nur der Pandemie, sondern auch des Klimawandels, von der wir alle betroffen sind - auch in den Wohlstandsländern. In der Ökologie würde man sagen, es kündigt sich der Kollaps an. Und, meine Damen und Herren, die Last fühlt sich schwer an.
Beide Krisen stehen im Zusammenhang miteinander. Bei der Bewältigung des Klimawandels geht es auch nicht darum, die Natur zu erhalten – denn die wird überleben, so viel weiß die Wissenschaft -, es geht genauso darum, uns selbst zu erhalten, die Menschheit zu erhalten!
Wie also – gerade für die junge Generation – hier den Optimismus bewahren? Als ich mich zuhause bei der Vorbereitung dieser Rede damit beschäftigte, half es mir, zwei Schritte zurückzutreten und mit Abstand zu überlegen, was denn schon gut läuft, was denn schon erreicht wurde.
Und jetzt, liebe Absolvierende, lassen Sie mich verneigen vor dieser - Ihrer - Generation:
Denn was Ihre Generation an politischem Bewusstsein, an Rebellion, an Handlungsfähigkeit, an lautstarken Stimmen bis in die UN hinein jetzt schon hervorbringt, das ist auch eine Revolution!
Die letzten Jahrzehnte haben wir darüber gejammert, dass die junge Generation gar nicht mehr politisch sei und gar nicht mehr auf die Straße geht. Und nun steht Ihre Generation da und geht auf die Straße, nicht nur hier, nicht nur in einem Land, nicht nur in den Wohlstandsgesellschaften. Nein, Sie nutzen die heutigen Möglichkeiten der Digitalisierung und der IT, um sich weltweit zu vernetzen. Überall stehen ganz junge Menschen auf, gründen Organisationen und Bewegungen mit großem Zulauf, arbeiten sich hoch bis in die Entscheidungsgremien, kommen in die großen Zeitungen und Nachrichtensender … Und Sie haben es geschafft, nicht nur eine Rebellion gegenüber der älteren Generation durchzuführen, wie es beispielweise bei der 68ern war: Sie haben es geschafft, Ihre Eltern- und Großelterngeneration mit zu aktivieren! Die Generation, die Sie auch anklagen! Im Schulterschluss! Und zwar im globalen Schulterschluss.
Ich kann mich nicht erinnern, dass es so etwas jemals in der Historie gab: Eine Bewegung, die so aktiv, weltweit vernetzt, zielorientiert und so fokussiert anklagt, im großen Stil gesellschaftliche Umwälzungen vieler Facetten einfordert, die Generationen, die sie anklagt, mit auf ihre Seite bekommt – und die ganz jungen Menschen in oberste Positionen hievt.
Das erinnert mich an die aus Uganda stammende Vanessa Nakate, Fridays for Future-Aktivistin, gerade 25 Jahre alt, mit der ich zusammen im September eine internationale Pressekonferenz für die weltweite Organisation Religions for Peace im Auftrag der Stiftung Friedensdialog vorbereitete und in Lindau abhielt: Vanessa Nakate hielt eine großartige Ansprache mit dementsprechender Medienresonanz. Sie ist UN-Leader für die globale Fridays-for-Future-Bewegung, die im Schulterschluss mit Greta Thunberg die Klima-Bewegung auch kontinentübergreifend voranbringt. Kürzlich war sie auf dem Cover des Times Magazine.
Während Greta Thunberg eine riesige Masse von Menschen aktiviert hat, hat Vanessa Nakate das afrikanische „Rise up Movement“ mitgegründet und ist bis zu den Vereinten Nationen mit ihrer Stimme vorgedrungen. Sie ließ in der internationalen Pressekonferenz die Welt wissen: In Afrika bekommen die Menschen massiv die Klimawandel-Auswirkungen zu spüren und gleichzeitig sind die afrikanischen Staaten diejenigen, die weniger als 4 Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen beitragen. Und vergessen wir nicht, dass in Afrika gerade mal knapp 6 Prozent der Bevölkerung geimpft sind! Nicht, weil diese sich nicht impfen lassen wollen, sondern weil sie keinen Zugang zu Impfstoffen bekommen. Die Verteilungsungerechtigkeit gibt es auch hier.
Wir sind wirtschaftlich gesehen in einer privilegierten Situation, daran hat sich noch immer nichts geändert. Das privilegiert uns aber auch, am ehesten handlungsfähig zu sein. Und genau da kommen Sie, liebe Absolvierende, ins Spiel:
Sie brechen mit der Bewegung Ihrer Generation gerade einen Rekord nach dem anderen!
Seien Sie sich dessen bewusst, welche Kraft und Power das hat.
Warum sollte das keine Chance haben, gut auszugehen? Einer vielschichten globalen Herausforderung wird mit einer vielschichtigen globalen Protestbewegung begegnet. Das, was man jetzt noch im Schulterschluss mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft schaffen muss, ist, aus der Protestbewegung, eine Reformbewegung zu formen.
Und da sind wir an dem Punkt, wo es Sie braucht, liebe Absolvierende, jede und jeden Einzelnen von Ihnen, in der späteren Berufstätigkeit als auch im Privaten, denn nach wie vor gehen die Menschen – auch die junge Generation – zu wenig in die Veränderung rein.
Manchmal denke ich an das Buch der „Parallelgeschichten“ von Péter Nádas, an Filme wie „Matrix“ und „Zurück in die Zukunft“ und andere Geschichten, Musikstücke, in denen Zeitsprünge und Parallelwelten zum Thema gemacht werden.
Assoziieren Sie einmal: die indigenen Gesellschaften in Südamerika, die Nomaden der Sahel-Zone in Nord-Afrika, die religiös Orthodoxen … und als Gegenpol die stark atheistischen und westlichen Gesellschaften. Und dann wiederum leben manche Gesellschaften völlig futuristisch, in Dubai oder Katar zum Beispiel: Völlig unterschiedliche Kulturen, die alle aber über ein Handy oder einen Fernseher voneinander wissen, über Social Media regelmäßig voneinander etwas erfahren und über Wirtschafts-, aber auch Klimakreisläufe miteinander verbunden sind.
Jetzt ist es unser aller Aufgabe, diese verschiedenen Gesellschaften in Harmonie zu bringen und zu koordinieren, damit wir in der Lange sind, Probleme gemeinsam zu lösen. Jede dieser Gesellschaften wird ihr ganz eigenes Wissen einbringen können und müssen, damit die gefundenen Lösungen für alle tragbar sind. Da kommt eine riesige Koordinationsaufgabe nicht nur auf die Politik, sondern auch im Medienmanagement auf uns zu.
Sie haben in der Kreativbranche, in den Medien, aber auch im Foodmanagement die Möglichkeit, mit Konzerten, Filmen, Reportagen, Musik, Kunst, Kultur oder Kulinarik die Menschen in ihrem tiefsten Innersten zu berühren, emotional zu berühren. Sie haben die Möglichkeit, Dinge mit Emotionen so zu verknüpfen, dass sie ganz tief im Menschen ankommen. Das ist sehr wertvoll, denn nur dann, wenn Menschen emotional berührt werden, kann man auch etwas verändern.
Sie haben die Möglichkeit, neue Visionen mit Bildern, Tönen, Farben, Formen und Effekten zu versehen und damit zu inspirieren, wohin wir als Gesellschaft steuern könnten. Sie haben die Möglichkeit, Menschen, die von diesen Krisen betroffen sind, zu trösten, aufzufangen, Halt zu geben. – Und das ist unglaublich wertvoll, denn die psychotherapeutischen Einrichtungen sind längst überlastet, kommen längst nicht mehr der Nachfrage nach - ganze Generationen werden gerade von der Schwere der Pandemie erfasst. Gerade erst letzte Woche sagte mir ein befreundetes Psychotherapeutenpaar den Urlaub ab – sie leiten beide jeweils psychotherapeutische Einrichtungen und ertrinken in Arbeit und Anfragen … kein Urlaub mehr möglich.
Nutzen Sie die Ratlosigkeit der Zeit, um ganz neue Wege von Kooperationen auszuprobieren und vollkommen verrückt erscheinende Lösungen anzubieten:
- Was gestern undenkbar erschien, kann morgen schon selbstverständliche Alltagsrealität sein.
- Es gibt stets Lösungen, wenn alle genügend veränderungsbereit sind.
- An Geld mangelt es in unserer Gesellschaft nicht, spätestens über Kooperationspartner sollte es Möglichkeiten geben, Gelder für Ihre Projekte zu akquirieren.
- Und Vielfalt will gelebt und geführt werden.
- Es wird gute Medienmanager und IT-Profis brauchen, um komplexe Vorgänge der Kommunikation zu koordinieren.
- Es wird Wegweiser für ökologisch-nachhaltige Ernährungskulturen brauchen.
- Und Sie sollten auch das Erfahrungswissen der Älteren nutzen, um Ihre neuen Ideen gut auf den Weg zu bringen.
In solch einer Umbruchsphase braucht es vor allem die kreativen Köpfe und eine sehr gut überlegte mit Feingefühl versehene Kommunikation - mehr denn je.
Ich danke Ihnen nun für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen von Herzen alles Gute auf Ihrem weiteren Weg! Seien Sie voller Ideen und erlauben Sie sich, etwas zu tun, was bisher undenkbar war.
Dr. Jessica D.S. Knall
Kommunikationsbüro für Werte & Gesellschaft